Der Tag im Jahr, an dem ich für die Arbeit Wandern darf

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07.05.2021 • Wanderbummler

Der Tag im Jahr, an dem ich für die Arbeit Wandern darf

Wenn ich erzähle, dass ich für die Schweizer Wanderwege arbeite, ist die Reaktion meistens: “Bist du den ganzen Tag am Wanderwege ablaufen?” Schön wärs! Ich wünscht, ich könnte den ganzen Tag wandern und sicherstellen, dass auf den Wegen alles in Ordnung ist – bei 65 000 Kilometern Wanderwege hätte ich wohl für die nächsten Jahre genug zu tun. Meistens bin ich aber privat unterwegs und erkunde neue Gebiete für mich selbst. Es gibt aber einen Tag im Jahr, an dem ich professionell wandern gehe.

Es ist nämlich so. Jedes Jahr publizieren wir im Frühling Wandervorschläge für unsere Gönner und Abonnenten. In einer kleinen Broschüre stellen wir jeweils zehn Wanderungen aus der ganzen Schweiz vor. Die Auswahl der Routen ist eine ganze Wissenschaft, denn es kommt nicht einfach jeder Wanderweg in Frage. Schön soll er sein, nicht zu bekannt oder zu belaufen, nicht zu lang, kindersicher und familienfreundlich. Natürlich soll der Weg wenig oder gar nicht auf Hartbelag verlaufen, sondern auf Naturpfaden und abseits von Verkehr. Kurz, wir suchen nach den echten Wanderjuwelen. Das überlassen wir deshalb auch unserem Experten Markus Ruff, der sich Jahr für Jahr auf die Suche nach den schönsten Wanderungen in der ganzen Schweiz macht und diese für uns aussucht. Diese Wandervorschläge müssen natürlich recherchiert werden. Und hier kommen wir ins Spiel. Bevor die Wanderung gedruckt und publiziert werden kann, gehen wir los und rekognoszieren den Weg, finden das feinste Beizli und bringen Fotos der Wanderung zurück.

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Icogne – Chermignon: eine Wanderung entlang der Grande Bisse de Lens

Das ist eine Arbeit, auf die ich mich immer freue. Erstens finde ich es einfach das Grösste, dass ich an einem schönen Tag draussen sein kann, Wandern gehen und das Arbeit nennen darf – nicht selbstverständlich. Zweitens sind die Wanderungen immer super ausgesucht und halten, was sie versprechen – ich lerne also ganz neue Ecken kennen, auf die ich allein vielleicht nie gekommen wäre.

Für den diesjährigen Wandervorschlag bin ich ins Wallis gereist. Genauer gesagt nach Icogne oberhalb von Sion. Icogne ist umgeben von Reben. Um diese zu bewässern, bauten die Walliser lange Kanäle, Suonen genannt, um Wasser von weit her zu ihren Rebgärten zu bringen. Die Suone, der wir entlang wandern, heisst Grande Bisse de Lens. Im 15. Jahrhundert erbaut, überquert sie Schluchten und fliesst durch Dörfer auf ihrem Weg ins Weinglas, ähm Tal.

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Von Icogne her kommend, fliesst die Suone durch dichten Wald.

Man kann eine Wanderung immer in beide Richtungen laufen, aber wir haben uns entschieden, von Icogne nach Chermignon zu gehen. Der Weg verläuft dann immer sanft nach unten und man hat das Gefühl, die Füsse liefen von selbst.

Obwohl wir die Wanderung an einem sonnigen Samstag gelaufen sind, waren wir fast allein unterwegs. Um Icogne herum haben wir ein paar Spaziergänger getroffen und dann später kam uns eine Familie mit Hund entgegen. Den Rest der Zeit hatten wir die Suone für uns allein.

Die Wanderung hat sich dann auch als die Perle entpuppt, die ich mir erhofft hatte. Auf der rund vierstündigen Wanderung hatte es von allem etwas. Der Weg ist gut unterhalten und einfach zu laufen, eher wie ein langer Spaziergang. Es hat aber immer wieder abenteuerliche Passagen, wo die Suone direkt in den Felsen gehauen ist und der Weg sich eng an die Felswand schmiegt. Ein Seil bietet zwar Halt, aber Höhenangst darf man nicht haben. Was mir besonders gefällt, ist, dass man immer wieder ins Wasser springen kann. Wir wandern oft an der Sonne und es ist ganz schön heiss. Die Suone begleitet uns aber ständig und es ist perfekt, um die Füsse abzukühlen. Wenn jemand mehr Abkühlung braucht, ist man ja im Wallis bestens damit vertraut. Ein Schlückli «Wiisä» nach der Wanderung wäscht allen Staub aus der Kehle.

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Die Suone wurde zum Teil direkt in den Fels gehauen.

Für mich war das eines der Highlights meiner Wandersaison. Ich habe wieder eine neue Gegend kennengelernt und eine abwechslungsreiche, abenteuerliche Wanderung entdeckt, wo ich sie nicht erwartet hätte. Wer die Wanderung nachlaufen will, findet diese in unserer Broschüre Wandern im Frühling 2021. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf die nächste Wanderung, die ich rekognoszieren darf. Dieses Jahr darf ich ins Tessin. Mehr verrate ich aber noch nicht.

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Eine von mehreren Holzbrücken, die Wasser und Wanderer über den Abgrund helfen.

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