Auf der Suche nach Steinböcken auf Petrus gestossen

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10.09.2021 • Wanderbummler

Auf der Suche nach Steinböcken auf Petrus gestossen

Dies ist eine dieser Wanderungen, die mir lange in Erinnerung bleiben wird. Nicht weil sie besonders lang oder anspruchsvoll war, sondern weil alles ganz anders kam als geplant. Von Alp Muottas aus gingen wir auf Steinbockjagd – natürlich nicht mit dem Gewehr, sondern mit Fotoapparat und Feldstecher. Unterwegs trafen wir jedoch auf Petrus, der uns mit Wind, Regen und guten 20 Grad Temperaturunterschied wieder einmal eine Lektion erteilte, wie schnell sich am Berg alles drehen kann.

Doch zuerst ein bisschen Hintergrundwissen. Obwohl ich am Fuss des Pilatus aufgewachsen bin und sozusagen einen Steinbockspielplatz gleich vor der Haustüre hatte, habe ich bisher noch nie einen echten Steinbock gesehen. Hier muss vielleicht gesagt werden, dass ich auch nie aktiv eine Anstrengung unternommen habe, um die Könige der Alpen aufzuspüren. Irgendwie habe ich immer gedacht, das würde sich dann schon irgendwann von selbst ergeben und die Überraschung wäre dann doppelt schön, weil unverhofft.

Als wir also ein verlängertes Wochenende im Graubünden planten, hatte ich dann aber schon das Gefühl, dass es jetzt wohl endlich so weit sein würde. Schliesslich hat man von aussen das Gefühl, dass die Steinböcke im Graubünden in der Überzahl sind, in der Beiz sitzen und Anekdoten über die Touristen erzählen… oder so ähnlich. Ich hatte mich auf jeden Fall schon darauf eingestellt, unterwegs auf die Tiere zu stossen, irgendwann nach unzähligen Spitzkehren aufzublicken und sie zu sehen, direkt vor uns, in Fleisch und Blut, majestätisch schön.

Nachdem wir aber drei Tage auf Umwegen von Bergün nach Zuoz gewandert und zwar auf Gämsen und Murmeltiere, aber nicht auf Steinböcke gestossen waren, wurde mir klar, dass wir einen Gang mehr einlegen mussten. Also fragten wir bei unseren Gastgebern nach, wo wir in der Nähe eine schöne Wanderung mit Steinbockgarantie machen könnten. Und sofort wurde uns ein Flyer für Muottas Muragl in die Hand gedrückt (siehe unten). Wer sich Steinbock-Paradies nennt und so viele Steinböcke auf den Flyer druckt, muss ja Steinböcke haben! Oder gut sein im Marketing…

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Der Weg von Alp Muottas via Chamanna Segantini bis Alp Languard (Illustration Bergbahnen Muottas Muragl)

Also auf nach Muottas Muragl! Mit der Bahn hoch bis Alp Muottas und dann ab in Richtung Segantini-Hütte. Der Wetterbericht hatte zwar ein bisschen Regen für den Nachmittag angesagt – auf der App von MeteoSchweiz hiess es weniger als 1mm, und auch die Einheimischen meinten, das sollte problemlos gehen. Es war übrigens Juni und angenehme 23 Grad, die Sonne schien (noch) und die Sicht auf das Tal war grossartig. Wir liefen los und schauten mit unseren ausgeliehenen Feldstechern links und rechts nach dem ersten Zeichen der Tiere. Wir sahen: nichts. Aber ok, der Weg war schön, und nicht zu stark begangen. Bis etwas unterhalb der Segantini-Hütte ahnten wir noch nichts von unserem baldigen Glück.

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Bald nach dem Aufbruch, die ersten Wolken erscheinen am Himmel…

Kurz vor der Chamanna Segantini, dem höchsten Punkt unserer Wanderung (2731 MüM), kamen wir aus dem Windschatten des Berges und uns blies ein eisig kalter Wind entgegen. Und ich meine eisig. Von wegen Juni und 23 Grad! Unsere Hände waren innert Minuten richtig taub. Ok, dass hatte das Meteo nicht gesagt, aber wir liefen mutig weiter. Schliesslich hatten wir ein Ziel: Steinböcke entdecken. Dies war so etwa der Zeitpunkt, als ich zum ersten Mal die Stimmen von Gian und Giachen im Hinterkopf hörte: «Schau mal, wie die gegen den Wind ankämpfen, meinen die etwa, wir wären bei dem Wetter draussen?» Ich stellte mir vor, wie die beiden hoch oben am Berg in ihrer Stube vor dem Cheminée sassen und uns zuschauten, wie uns die Hände langsam blau wurden.

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Noch im Windschatten und völlig unwissend, was uns noch erwartet…

Bei der Segantini-Hütte entschieden wir, nicht zu verweilen, sondern gleich weiter zu gehen, schliesslich sollte es später noch regnen. Der Himmel sah auch wirklich nicht mehr so freundlich aus und wir mochten lieber in Richtung Tal, als noch lange hier oben zu bleiben (schlechte Entscheidung).

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Am höchsten Punkt der Wanderung ist es auch höchste Zeit, talwärts zu gehen.

Etwa eine Viertelstunde später fing es an zu regnen. Es windete immer noch und der Regen schlug uns richtig ins Gesicht. Unangenehm, aber ok mit Regen kamen wir noch klar, was ich nicht mag, sind Blitze, doch die folgen schon bald. Jetzt wurde es langsam wirklich ungemütlich und wir suchten Schutz hinter einer Holzbeige. So lange es blitzte, wollten wir nicht weiterwandern. Also warteten wir und zählten: Blitz 1… 2… Donner, Blitz 1… 2… 3… Donner. Nach etwa einer halben Stunde schien der Sturm nicht mehr ganz so nah, oder zumindest nicht mehr genau über uns. Ein Blick auf die App von MeteoSchweiz und den Regenradar sagte uns aber, dass die nächste Welle schon auf dem Weg waren. Also entschieden wir uns, schnurstracks in Richtung Alp Languard zu gehen und möglichst noch vor dem nächsten Regen dort anzukommen.

Das taten wir auch, und konnten sogar direkt mit der Sesselbahn in Tal fahren. Ich habe zwar nicht alle Sesselbahnen der Welt probiert, aber ich bin sicher, das ist die langsamste! Oder so kam es mir zumindest vor, denn es regnete wieder und die paar Stellen, die an mir noch trocken waren, wurden spätestens hier plitschnass.

Fazit dieser Wanderung: Nur weil jemand Steinböcke auf seinen Flyer druckt, ist es noch lange nicht sicher, dass man auch welche sehen wird. Nur weil der Wetterbericht (und die Einheimischen) sagen, es würde nicht oder nur wenig regnen, heisst nicht, dass es auch so sein wird. Trotz Wetterapp, Regenradar, GPS, digitaler Karte und sonstigen Spielereien sollte man auf Bergwegen immer auf alles gefasst sein. Ich bin auf jeden Fall froh, die Regenjacke und einen leichten Merino zu meiner Standardausrüstung zu zählen. Ich habe sie schon x-mal mitgeschleppt und nicht gebraucht, aber man weiss schliesslich nie, wann es einen trifft. Besser, man hat sie dabei.

Und die Steinböcke? Die bleiben weiter auf meiner To-Do-Liste. Wenn ihr aber das nächste mal Gian und Giachen über Wanderer lachen hört, die im Sturm vergeblich nach ihnen Ausschau gehalten haben, dann wisst ihr nun zumindest, um wen es sich dabei handelt.

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