Mongolisch wandern

Terelj
25.07.2019 • veraalpina

Mongolisch wandern

Einzigartige Natur, Ruhe und Abgeschiedenheit. Dies findet sich in der Schweiz, wenn man bereit ist, zu wandern. Dennoch reizte es mich schon lange, gänzlich in der Natur zu verschwinden und der „Zivilisation“ einmal den Rücken zu kehren. Wo kann man dies besser als im Land mit der niedrigsten Bevölkerungsdichte der Welt?

Mitten in Zürich an einem verhältnismässig heissen Frühlingstag in einem Reisebüro. Die Luft war stickig und die Sonne schien durch die Fenster auf unsere Gesichter. Wir hatten gebucht. Als letzte Frage erkundigte sich die Reiseagentin, ob denn der Chihuahua auch mitkäme in die Mongolei, doch der meinte, die neun Stunden Flugzeit würde er sich nicht antun. Er durfte dafür mit meiner Mutter nach Zermatt in die Ferien (sein Bericht folgt).

Die Mongolei und die Schweiz sind sich in vielen Hinsichten ähnlich; die Landschaft ist in beiden Ländern abwechslungsreich. Ja, es gibt dort nicht nur Steppe und Grasland, sondern auch Lärchenwälder, Seen, Wüste, Flüsse, hohe Berge (der höchste Gipfel ist auf 4374 Metern), von Wäldern umrahmte Weiden in Hügellandschaften… Ich fühlte mich eigentlich gleich wie zu Hause. Einfach mit weniger Menschen. Wahrhaftig ein Traum.

Der einzige Ort, wo es mir als Mitteleuropäerin nicht so wohl war: die Steppe. Ich bin mir diese Weiten nicht gewohnt und der Gedanke, dass es am Horizont nochmals genau so flach und weit weitergeht, beschwor in mir ein beklommenes Gefühl herauf. Ohne Pferd, Auto oder Motorrad ist man dort verloren und ausgeliefert.

In der Schweiz gibt es 65 000 Kilometer Wanderwege für ein Land von 41 000 Quadratkilometern. In der Mongolei gibt es vielleicht… Keine Ahnung, 100 Kilometer Wanderwege für ein Land von 1.5 Millionen Quadratkilometern? Aber eigentlich ist es dort egal, wo man durchläuft. Das Land gehört eben allen und niemandem.

Während man in der Schweiz für jedes Wetter ein Kleidungsstück hat, trägt man in der Mongolei ein Kleidungsstück bei jedem Wetter: der Deel ist eine Art Mantel, den man mit seitlichen Knöpfen und einem Stoffband als Gürtel zusammenhält. Es gibt ihn in verschiedenen Ausführungen: einfach, gesteppt oder mit Lamm- oder Kamelfell-Futter für den Winter. Uns wurde für die Reise ins Altai-Gebirge die Variante «gesteppt» empfohlen. Der Deel hielt uns tatsächlich sehr warm, als die Nächte Schneefall brachten. Er wird ziemlich von allen Nomaden getragen, da er sehr praktisch ist: Dank des seitlichen Verschlusses kann man damit nicht nur bergwandern, sondern auch reiten (auf einem Pferd oder einem Motorrad). Und das Stoffband dient als Halterung für diverse Dinge wie Smartphone, Kompass, Mittagessen, Mütze, Schal, Handschuhe, Wasserflasche, Sonnenbrille, Sonnencrème, die man sich einfach so in den Deel stecken kann. Somit braucht man streng genommen auch keinen Rucksack.

Der sieht in der Mongolei ziemlich anders aus als in der Schweiz. Beliebt als Proviant sind Chuuschuur, frittierte gefüllte Teigtaschen. Natürlich mit Fleisch. Fleisch gehört zu jeder Mahlzeit. Das Käsesandwich kann man gleich vergessen; Mongolen essen zwar viele Milchprodukte, aber der Käse wird ganz anders hergestellt. Er wird in der Sonne getrocknet und ist sehr hart. Und… sehr rezent, jedoch trotzdem ohne ausgeklügelten Geschmack.  Zumindest für westliche Zungen.

Nahrung direkt vom Feuer zubereiten zu lassen, ist in der Mongolei nicht sehr verbreitet, zumal es je nach Region nicht sehr viele Bäume und ergo nicht viel Holz gibt. In der Steppe wird getrockneter Dung zum Anfeuern gebraucht. Nein, der riecht nicht (mehr) schlecht, aber das Fleisch an einem Stock über brennenden Dung zu halten und dann zu essen ist für meinen – und offensichtlich auch für den mongolischen Geschmack – doch sehr rustikal. Fleisch wird eben nicht grilliert, sondern gekocht. (Übrigens: «Mongolian Barbecue» kommt aus Taiwan und hat rein gar nichts mit der Mongolei zu tun.) Wir Westler wollten dennoch einmal draussen grillieren. Mit dem Ergebnis, dass wir alle Nomaden im Umkreis von 20 Kilometern zu Gast hatten. Das Essen war für diese zwar etwas befremdlich, es schmeckte ihnen offensichtlich trotzdem.

Was einem BBQ am nächsten kommt, ist Chorchog: Zunächst werden flache, etwa handflächengrosse Steine gesammelt und direkt im Feuer erhitzt. In einem Topf werden diese – nun schwarzen – Steine zwischen das Fleisch und das Gemüse (Karotten und Kartoffeln) geschichtet. Mit etwas Wasser wird das Ganze auf dem Feuer mindestens zwei Stunden gekocht. Ergebnis: köstlich. Die heissen Steine werden vor dem Essen in den Händen gehalten: Das ist gut für die Durchblutung.

In der Schweiz sind die meisten Hüttentees von fruchtigem Grundgeschmack, mit Kräutern und relativ viel Zucker. In der Mongolei ist es das Gegenteil: der Tee ist salzig und besteht zu 70 Prozent aus Milch mit etwas Wasser und Grüntee. Und eben Salz. Er nennt sich Süütei Tsai, «Tee mit Milch».

Das Hütten-Äquivalent sind Jurten (auf Mongolisch Ger). Es gibt für Touristen Ger-Camps mit dem Komfort eines Campingplatzes; also reinster Luxus mit sanitären Anlagen und einem grossen Restaurant-Ger, manchmal auch mit Outdoor-Thermal-Pool! Sonstige Gers gehören den Nomaden, welche diese das ganze Jahr bewohnen. Sie sind gut ausgestattet mit Betten, Tischen, elektrischen Lampen, einem Ofen in der Mitte und meistens Strom vom Solarpanel oder einer riesigen Batterie und oftmals Satelliten-TV. Viele Stadtbewohner, die in der Westmongolischen Stadt Chowd in Wohnungen leben, haben beim Fluss, etwas ausserhalb der Stadt, ein Ferien-Ger. Im Sommer gehen sie am Abend statt nach Hause eben in den Ger und schlafen dort. Ist auch viel schöner.

Den Schweizer Berghütten am nächsten kommen allerdings die Winterquartiere der Kasachen, die in der Westmongolei leben. Sie sind auch Nomaden, wohnen aber nur im Sommer in ihren Jurten. Im Winter ziehen sie in ihre kleinen, weissen Steinhäuschen am Berghang, wo sie auch ihre Tiere in der Nähe halten.

 

Die Murmeltiere der Mongolei sind eigentlich genau gleich wie Schweizer Murmeltiere, ausser dass die Fellfarbe von rötlich bis golden geht. Und dass sie die Pest übertragen sollen. Davon haben wir aber zum Glück nichts mitbekommen. Wir haben allerdings auch kein Murmeltierfleisch gegessen.

Das mongolische Pendant zu Gipfelkreuzen sind so genannte Ovoos, die sich auf Pässen und manchmal auch auf Gipfeln befinden. Der Brauch kommt aus dem Schamanismus. Ein Ovoo bringt Reisenden Glück, wenn sie ihn dreimal umgehen und dabei zusätzliche Steine darauf legen oder werfen. Man kann auch andere Opfergaben dort lassen.

Einfache Opfergaben, wie Brot und drapierte Ziegen oder Schafe (nicht mehr lebendig) gibt es auch auf Berggipfeln. Sie werden dem Berg geopfert. Die Mongolen sind nicht streng religiös, dies versuchten ihnen die Kommunisten abzugewöhnen. Allerdings sind Fetzen vom Tengrismus, einer Mischung aus Animismus, klassischem Schamanismus, Ahnenverehrung und Totemismus, bei fast allen Leuten noch immer vorhanden. Dies zeigt sich auch in verschiedenen Ritualen, wie zum Beispiel dem Versprühen von Milch in alle acht (ja, acht) Himmelsrichtungen vor einer Reise.

Dies machten wir fleissig und so war auch unsere Reise mühelos und ohne Zwischenfälle. Tengri war uns wohlgesinnt.

 

Vera Alpina

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